Inner Collection
Judith Karcheter’s work Zierrat und Lächeln
Text: Dennis Jelonnek
English translation: Aude Fondard
Can a personal experience be turned into an incisive material form which will enable the viewer to take part in reconstructed memories? This crucial question surrounds Judith Karcheter’s work while, for her, the genesis of a piece is just as important as the result itself. Traces of planned and unplanned events imprisoned in various places of her memory are given a new form through multiple media like photography, collage, drawing or installation in space. The way impressions and reminisced elements are displayed allows the viewer to access very personal works by means of association. However, a complementary approach is needed in order to confer the necessary opening lightness to these works: the cryptic references to horseracing, tricksters, or travels, stage matured and elaborated tableaux of images and artefacts, which Judith Karcheter does not remember as such. In fact, the pieces originate in a constantly expanding “visual memory”, which very concretely takes the shape of a personal collection composed of varied images and artefacts. Judith Karcheter’s works sprout from this archive in a complex, iterative process that one can equivocally describe as some “inner collection”. On the one hand, because it evokes the concentration demanded by every work of art; on the other – and not less importantly – because it connotes the mental collection and combination of elements whose final arrangement becomes a personal joint accumulation of visual parts that were originally scattered.
Not all works by Judith Karcheter are composite: they can consist of just one photograph, which will disclose everything. They can also be comprised of newspapers, illustrations from books and magazines, self-made or found objects. Text and textile too can be woven into the work that eventually embodies the memory of an experience. The conjoined installation always remains coarse and does not coerce the viewer in a prepared understanding of the work. Rather, it allows contemplating each element displayed for itself, out of context. Thus, her works constantly oscillate between an intrinsic capacity for arrangement and openness.
Zierrat und Lächeln – an installation done for the Städtische Galerie Nordhorn in 2011 exemplifies Judith Karcheter’s way of working. It was born out of nostalgic depictions of horseracing and the events that unfold on and around the raceground. Wishing to spend a day there, Judith Karcheter returned with a photograph documenting her experience. It was important to her that the photograph features the typical attributes (in her representation) of horseracing: the mandatory hat worn by ladies on the ground and the spyglass allowing them to follow the race. The picture showing the artist in forlorn profile observing, with a spyglass, horses sprinting by prompted more reflection on the topic and generated an installation in space. She wrote a text conveying the impressions of the day under the cover of a fictitious relationship with a jockey. The poem describes the scene unfolding on the racetrack and introduces a new element broadening the scope of the work – namely a cravat obtained from a jockey in exchange for a lucky bow tie. To her collected impressions, the artist added several visual elements pertaining to racing, like a tipped-over number “one”. In this installation, the number “one” serves as a podium for the pink cravat. Judith Karcheter also injects the so-called “colours of racing” in colourful triangles arranged on the wall in a star pattern. The triangles represent the horses speeding by on the track. While a print of the previously described photograph grants access to the work, the telescope serves as a mediator between the picture and the other artefacts, which the viewer will gradually piece together by way of association. And thus, connecting one object after the other, the simulated memory, that Judith Karcheter wished fragmented, takes form. Just like she – owing to her experience – constructed her inner collection of images, by archiving, selecting and organising them, stepwise.
Innere Sammlung
Judith Karcheters Arbeit Zierrat und Lächeln
Text von Dennis Jelonnek
Ist es möglich, ein persönliches
Erlebnis in eine prägnante materielle Form zu überführen, die ihren Betrachter
an dieser rekonstruierten Erinnerung partizipieren lässt? Diese zentrale Frage
umkreist Judith Karcheter immer wieder in ihren Arbeiten, deren jeweiliger
Entstehungsprozess ebenso wichtig ist wie ihr Resultat. Das, was ihr von
geplanten und ungeplanten Begebenheiten an verschiedensten Orten im Gedächtnis
haften bleibt wird in verschiedensten Medien – Fotografie, Collage, Zeichnung
und deren Anordnung als Installation – nachgeformt. Das Ergebnis dieser
Sichtbarmachung von Eindrücken und erinnerten Elementen ermöglicht dem
Betrachter einen assoziativen Zugang zu den sehr persönlichen Arbeiten. Um
diesen die nötige offene Leichtigkeit zu verleihen ist jedoch eine
komplementäre Herangehensweise vonnöten: Die chiffrenhaften Hinweise auf
Pferderennen, Trickspieler oder Reisen repräsentieren in wohlüberlegten
und ausgearbeiteten Bild- und Objekttableaus Erinnerungen, die Judith Karcheter
so nicht hat. Vielmehr entstehen die Arbeiten aus einem sich ständig
erweiternden ‚Bildgedächtnis’, das ganz konkret in Form einer persönlichen
Sammlung von unterschiedlichsten Bildern und Objekten besteht. Aus diesem
Archiv entstehen die Arbeiten Judith Karcheters in einem komplexen, iterativen
Prozess, den man mehrdeutig als eine ‚innere Sammlung’ bezeichnen kann:
Einerseits im Sinne der Konzentration, die aufzubringen jede künstlerische
Arbeit erfordert; andererseits aber auch im Sinne eines geistigen Sammelns und
Kombinierens von Elementen und deren anschließende Anordnung als innerlich
verknüpfte Ansammlung ursprünglich vereinzelter visueller Versatzstücke.
Nicht immer sind Judith
Karcheters Arbeiten vielteilig - das Resultat kann ebenso aus einem einzelnen
Foto bestehen, das bereits alles aussagt; Es können jedoch genauso gut
Zeichnungen, gefundene Abbildungen aus Büchern und Zeitschriften, selbst
gebaute oder fertig vorgefundene Objekte, Textilien und Texte in das jeweilige
Gefüge eintreten, das zuletzt die Erinnerung eines Erlebnisses verkörpert.
Dieses vernetzte Gefüge bleibt dabei stets grobmaschig, zwingt den Betrachter
nicht in ein vorgefertigtes Verständnis der jeweiligen Arbeit. Vielmehr ist es
erlaubt, die ausgestellten Einzelelemente für sich zu betrachten und losgelöst
von ihrem Kontext anzusehen. So oszillieren die Arbeiten konstant zwischen der
ihnen gleichzeitig innewohnenden Organisiertheit und Offenheit.
Beispielhaft für Judith Karcheters
Arbeitsweise ist die Installation „Zierrat und Lächeln“ für die Städtische
Galerie Nordhorn aus dem Jahr 2010. Ihrer Entstehung gingen nostalgische
Vorstellungen von Pferderennen und den Geschehnissen auf der Rennbahn voraus.
Der Wunsch, dort einen Tag zu verbringen resultierte in einer Fotografie, mit
der das Erlebnis dokumentiert wurde. Wichtig war es Judith Karcheter dabei, die
ihrer Vorstellung entsprechenden typischen Attribute des Pferderennsports
prägnant in die Fotografie zu integrieren: der obligatorische Hut der
Rennbahn-Besucherin und das Fernrohr, mit dem das Geschehen zu verfolgen ist.
Die Fotografie, auf der die Künstlerin im verlorenen Profil den vorbeirasenden
Pferden mit dem Fernrohr folgt wurde zum Auslöser einer weiteren Beschäftigung
mit dem Thema und dem sukzessiven Ausbau zur raumgreifenden Installation: Ein
Text entstand, in dem die Eindrücke des Tages in die Schilderung einer fiktiven
Beziehung zu einem Jockey gekleidet sind. Das Gedicht beschreibt die
Rennbahn-Szenerie und führt mit einer im Tausch gegen eine Glück bringende
Fliege von dem Jockey erhaltene Krawatte ein neues Element in die sich – auch
narrativ – erweiternde Arbeit ein. Aus ihren gesammelten Eindrücken fügte die
Künstlerin weitere visuelle Versatzstücke des Pferderennsports hinzu: eine
gekippte Startnummer Eins, die in der ausgestellten Installation als Podest für
die erwähnte rosa Krawatte dient; sogenannte ‚Rennfarben’, knallbunte Dreiecke,
die an der Wand zu Sternen angeordnet als Abbreviaturen für das Vorbeirasen der
Pferde stehen. Während die Abbildung der anfänglich beschriebenen Fotografie
den Einstieg in die Arbeit ermöglicht fungiert das ausgestellte Fernrohr als
Vermittlung zwischen dieser Fotografie und den weiteren Exponaten, die vom
Betrachter sukzessive zu einem Netz von Assoziationen verknüpft werden. Objekt
für Objekt nimmt so die von Judith Karcheter intendierte fetzenhafte,
simulierte Erinnerung Gestalt an, die sie infolge ihres Erlebnisses ebenso
schrittweise durch die innere Sammlung von Bildern, deren Archivierung, Auswahl
und Anordnung konstruiert hat.